kraah GICKERL kraah kraah

literarisch-musikalisches Gehörspiel in drei Schweifen

Titelbild von Sabine Gerstacker

Das Hörbuch „Kraah Gickerl kraah kraah“ ist aus einem Bühnenauftritt mit der Musikgruppe „Hammerling“ (Erwin Rehling und Fritz Mosshammer) entstanden. Die je acht Gedichte in bairischer Mundart bilden drei Schweife. Darin wird das Sein, das Tun und das Glauben in einer lyrischen Form angesprochen.

Verlag: Liliom Verlag Waging, ISBN: 9783934785700

Gedicht und Besprechung in
IDI-Informationen Nr. 112, Dezember 2021

Griassee-Suiba
aus „kraah, Gickerl, kraah, kraah“

So groß is d Nacht von Rand zu Rand:
Vom Glocknklang von ganz weit weg
zum Reifnrauna auf der draußern Straß
is Flüglschlåg und Flossnplatschn,
is Linden-, Eschen-, Pappegflüster,
is s Knistern von an kurzn Reng,
san unsre hoaßn Händ,
is Nebe auf m Wasser zwischn Uferwoid
und liachtn Spiagl,
is Mond und Woikngspui, san d Stern,
san mia und roin den Teppich Käitn
mit unsre Zungan ausanand
und foin ois ob des Fliang waar
von drauß nåch drin. So warm,
so nah, so voi mit Glück, so neigeborn;
mia hoitn d Zeit mit unserm Heazzschlåg fest,
mei Heazz hoit d Ungeduid und
d Haut wui Haut wui Haut und
kriagt s und gspürt im Gwinna
den Schmeazz, wenn se s verliert.
Jetz miaßt ma schwendn kenna,
morgn sagn, Lebn, Ewigkeit, jetzt
miaßt ma n Tau auf Haar und Haut
ganz frei von Schuid aufschlecka,
ganz frei von Schuid.
In unsre hoaßn Händ
is Mondliacht, s Griassee-Suiba,
mei Hemd riacht no nåch dir
und s Auto schiabt an Kegl
Liacht in n Montåg, so kloa
is d Nacht von Rand zu Rand.

Besprechung von Dr. Silvia Bengesser-Scharinger

"A thing of beauty is a joy for ever:
Its loveliness increases; it will never
Pass into nothingness."

Nicht von ungefähr sind mir nach den ersten Lektüren von Josef Wittmanns Gedichten Verszeilen des englischen Romantikers John Keats aus dem Jahr 1818 in den Sinn gekommen. Formulieren sie doch Grundsätzliches über die Wirkung von Kunst, und das in einer Sprache, welche die Botschaft zum Kunstwerk werden lässt – „A thing of beauty is a joy forever“. In diesem Sinne ist dem Verfasser von Griassee-Suiba etwas Schönes gelungen. So schön, dass die Keats’sche Setzung einer zunehmenden Anmutung („loveliness“ frei übersetzt) in mir Wirklichkeit werden konnte. Das Gedicht ruft in seinem Titel Topographisches auf, den biographischen Landschaften des Autors entnommen. Das Gedicht arbeitet mit Wahrnehmungsverschiebungen durch Ausschnittveränderung: vom Großen, Femen zum Nahen, Kleinen und vice versa. Solch gestisches Zoomverfahren schafft Raum, erfrischt die eingeübte Sicht auf die Welt durch Perspektivenwechsel, trainiert Herzensbeweglichkeit und wirkt mitreißend durch den rhythmischen Fluss der Verse.

Die entgrenzende Ansage im ersten Vers „So groß is d Nacht von Rand zu Rand“ schrumpft am Ende des einstrophigen, 30 Verszeilen umfassenden Gedichts zu einem „so kloa is d Nacht von Rand zu Rand.“ Dazwischen öffnet Wittmann eine Fülle von Blicken auf sinnlich Wahrnehmbares, glimpses of truth, Sprünge und Würfe, wenn man denn wie der Autor in der Lage ist, zu hören, zu sehen, zu fühlen und zu denken. Schon die Metaphorik des Titels, die unaufdringlich wirkende Alliteration und die schimmernden ,ia‘-und ,ui‘-Laute lassen dem Alltag Enthobenes erwarten. Wie in Brechts Liebesgedicht „Als ich nachher von Dir ging“ ermöglicht die erotisch aufgeladene Begegnung zweier Menschen eine gesteigerte Wahrnehmung und eine intensivere Begegnung des lyrischen Ichs mit der Natur. Ein außergewöhnlicher, durch Mondlicht versilberter Zustand hebt die Trennung zwischen Innen und Außen, zwischen Subjekt und Objekt kurzfristig auf, macht einem ,Wir‘ Platz – paradiesisch genug. Wie von selbst gehen die Empfindung „san unsre hoaßn Händ“ und die Wahrnehmung „is Nebe auf m Wasser zwischn Uferwoid und liachtn Spiagl, / is Mond und Woikngspui, san d Stern“ ineinander über und markieren die Durchlässigkeit eingespielter Grenzen. Nach einer Klimax gewinnen die Signaturen der Entfremdung die Oberhand: „s Auto schiabt an Kegl / Liacht in n Montag, so kloa / is d Nacht von Rand zu Rand“. Der Autor erzählt von einem Glückszustand und seiner Auflösung im Scheinwerferlicht des nahenden Montags und das in einer Sprache, in der das Mitgeteilte zum Kunstwerk wird.